Montag, 20. April 2015

Buch: Pompeji - Leben in einer römischen Stadt (ein kritischer Blick auf die Pompeji-Forschung)

Die britische Althistorikerin Mary Beard versucht mit ihrem Buch Pompeji - Leben in einer römischen Stadt (Reclam, 2011) einen umfangreichen Einblick in die aktuelle Pompeji-Forschung zu geben (zwar erschien die englische Originalausgabe schon 2008, allerdings wird sich zwischenzeitlich kaum umwälzend Neues getan haben).
Neben der Erörterung verschiedenster Detailfragen des Alltagslebens - z.B. warum die Gehsteige bis zu einem Meter (!) hoch waren - untersucht die Autorin auch etliche Mythen, welche die wissenschaftlichen Fakten stellenweise ähnlich überwuchern, wie Unkraut die freigelegten Ruinen Pompejis. Dabei wird auch nicht mit Kritik an Archäologen und Historiker-Kollegen gespart, da sich diese aus Marketing-Gründen immer wieder phantasievolle Geschichten rund um den einen oder anderen Fund aus den Fingern saugen. Dass sich Mary Beard mit ihrer unverblümten und spitzen Kritik unter den Fachgelehrten nicht nur Freunde gemacht hat, ist wenig überraschend.

Zu all den Mythen und fragwürdigen Thesen, mit denen die Autorin ein wenig aufräumen möchte, zählt beispielsweise jene oft vorgebrachte Behauptung, der zufolge die exakte Lage von Pompeji relativ bald nach dem verhängnisvollen Ausbruch des Vesuvs (79 n. Chr.) in Vergessenheit geraten sei. Dass dem nicht so war, zeigt beispielsweise der Fund einer verloren gegangenen Münze, die ins 4. Jahrhundert datiert und vermutlich von einem antiken Schatzsucher stammt. 
Pompeji war im Übrigen auch keine typische "Zeitkapsel", in der das Leben urplötzlich eingefroren wurde, sodass wir heute den damaligen Zustand exakt bestimmen könnten. Nein, gerade in den Wochen und Monaten nach der Katastrophe wurde das Gelände offensichtlich in großem Umfang durchwühlt. Neben Kunstschätzen barg man sogar die Marmorverkleidungen öffentlicher Gebäude. Deren Fehlen wurde von Archäologen allerdings lange Zeit als simple Baufälligkeit der Stadt in der Stunde ihres Untergangs gedeutet. Man habe eben die Zerstörungen eines 17 (!) Jahre zurückliegenden Erdbebens an vielen Ecken und Enden noch immer nicht behoben gehabt, hieß es. Mir erschien diese Vorstellung seit jeher recht unrealistisch. Freilich, es finden sich in Pompeji schon auch echte Erdbebenschäden - z.B. an Fresken. Diese dürften allerdings größtenteils von einem weniger schwerwiegenden Ereignis stammen, das einige Wochen oder Monate vor dem Vulkanausbruch stattfand - meinen erfahrene Geologen. Als die Stadt dann ihr endgültiges Schicksal ereilte, waren die Bewohner gerade damit beschäftigt, diese Schäden auszubessern.
Apropos Bewohner: Aufgrund der relativ wenigen Toten, die man bisher entdeckte, wird davon ausgegangen, dass es sehr vielen Menschen gelang, rechtzeitig vom Ort des Geschehens zu flüchten. Im Zuge dieser Flucht dürften sie große Teile ihres Hausrates auf Karren mit sich genommen haben. Unter anderem daher rührt wohl auch die merkwürdige Leere, welche von den Ausgräbern selbst in protzigen Villen vorgefunden wurde. Der scheinbare Mangel an Einrichtungsgegenständen war demnach wohl keinem extremen Minimalismus geschuldet, wie in der einschlägigen Literatur häufig angenommen wurde (freilich, dermaßen vollgestopft wie heutzutage waren die Häuser damals mit ziemlicher Sicherheit trotzdem nicht).
Ein weiteres Rätsel ist das Datum des Untergangs. Plinius d. Jüngere nennt den 24. August 79 n. Chr. Doch zeigen archäologische Funde, dass zumindest einige Menschen in der Stunde ihres Todes schwere Gewänder aus Wolle trugen. Deutet dies vielleicht darauf hin, dass der Vulkanausbruch erst Monate später, nämlich im Herbst oder Winter, stattfand? Oder wollten man sich mit den dicht gewebten Stoffen vor Asche und Hitze schützen? Fakt ist jedenfalls, dass die von mittelalterlichen Mönchen angefertigten Kopien antiker Texte oft Fehler bei den Datumsangaben enthalten. Hinzu kommt der Fund einer Münze, die laut Expertenmeinungen angeblich erst im September 79 n. Chr. geprägt worden sein kann; aufgrund des Fundortes wird überdies ausgeschlossen, dass sie von einem später eingedrungenen Plünderer verloren wurde.

Fazit: Pompeji - Leben in einer römischen Stadt ist ein hochinteressantes, spannendes und sehr flüssig geschriebenes Buch. Neben der Geschichte Pompejis und den damit verbundenen Forschungsirrtümern, erfährt der Leser auch viel Allgemeines über den Lebensalltag einer antiken Stadtbevölkerung; vom Klientelwesen bis zum Gang auf die Toilette, welche sich übrigens bei Privathäusern nicht selten im Bereich der Küche befand ^^. Neben etlichen schwarzweißen Illustrationen enthält das Buch auch einige wenige Farbfotos (es handelt sich um keinen Bildband). Der Kaufpreis beträgt rund 30 Euro.
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Frage an die Leser: Kennt möglicherweise jemand gute Literatur, die sich speziell mit der Architektur römischer Privathäuser befasst? Das einzige Werk, das ich zu dem Thema besitze stammt aus dem Jahr 1980 und entspricht wohl nicht mehr so ganz dem Stand der Forschung.

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2 Kommentare:

  1. Hinsichtlich Deinem Architektur-Interesse würde ich Dir empfehlen mal in den Coursera-MOOC "Roman Architecture" von Diana E.E. Kleiner reinzusehen. Kostet nix, für die Anmeldung und den Zugang zu den Kursmaterialien ist hoffe ich weiterhin nur eine Email-Adresse notwendig (aktuell scheint man wohl auch Tippproben und Fotos von allen Teilnehmern einsammeln zu wollen "we check that it’s you each time you submit coursework"). Thema im 12wöchigen Kurs sind u.a. auch Privathäuser. Eines aus Pompeji als Beispiel habe ich noch mitbekommen, dann habe ich den Kurs Anfang 2014 wegen Zeitproblemen sein gelassen. Es gibt zwar günstig ein e-Begleitbuch zum Kurs von Frau Kleiner, aber ob Dir das für Deine Zwecke hilft stellst Du am ehesten im Kurs fest. An alte Videos käme man auch über Youtube ran, allerdings ist das nur eine Untermenge des Kursangebots.

    Anzumerken ist, daß die MOOC-Materialien oft lange nach Kursende noch verfügbar sind. Der Roman-Architecture-MOOC im letzten Jahr war eine der Ausnahmen, also das Material war bald nicht mehr zugreifbar. Aber Du hast Glück, bis Anfang Mai läuft gerade eine Wiederholung des MOOCs!

    Viele Grüße

    Jürgen

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    1. Vielen Dank für diesen Tipp, das sieht sehr interessant aus!
      Werde da auf jeden Fall reinschauen.

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