Montag, 13. Oktober 2014

Buch: Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit

Von der historischen Bogenwaffe - deren moderner Nachfolger lieber als bloßes "Sportgerät" interpretiert wird - hatte ich bisher nur eine relativ vage Vorstellung. Natürlich liest man immer wieder am Rande etwas darüber, wenn jedoch das Interesse eher bescheiden ist, bleibt naturgemäß auch nicht sehr viel hängen. Da ich nun aber vor einigen Wochen den Entschluss fasste, meine frühmittelalterliche bzw. ottonische Ausstattung mit einem Langbogen zu vervollständigen, war ein etwas intensiveres Einlesen in diese Thematik unumgänglich geworden. 
Nach nicht allzu langer Suche stieß ich auf das von Holger Riesch verfasste Buch Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit (Karfunkel Verlag). Zwar liegen die Merowinger zeitlich klar vor den Ottonen, doch ich hatte die starke Vermutung, dass der Autor aufgrund der fürs Frühmittelalter notorisch schlechten Quellenlage ohnehin würde weiter ausholen müssen und daher wohl auch die nachfolgenden Jahrhunderte miteinbezieht. Womit ich - Achtung, dieses Wortspiel passt jetzt perfekt zum Thema - ins Schwarze traf ;)
Der Schwerpunkt der Texte liegt natürlich trotzdem in merowingischer Zeit, was mich aber nicht stört, da ich durchaus an einem etwas umfassenderen Überblick interessiert bin. Offene Fragen zu ottonischen (wikingerzeitlichen) Bögen des 10. Jahrhunderts konnte ich dem Netz entnehmen und bei Fachleuten erfragen.

Doch zurück zum Buch: Man beginnt klugerweise mit dem Erläutern einiger (weniger) Fachbegriffe, deren Kenntnis für ein sinnerfassendes Lesen durchaus wichtig ist. In weiterer Folge werden archäologische Funde - etwa die gut erhaltenen Bögen des alamannischen Gräberfeldes von Oberflacht - sehr detailliert erörtert. Neben den Ergebnissen der "Bodenforschung" stehen vor allem schriftliche Quellen sowie einschlägige Buchmalereien im Mittelpunkt der Betrachtungen. Auch der erst im 11. Jh. angefertigte Teppich von Bayeux ist für die Erforschung frühmittelalterlicher Bögen eine Quelle von nicht zu unterschätzender Bedeutung; ebenso der im 9. Jh. entstandene Utrechter Psalter. Beide Quellen liegen interessanterweise näher an der ottonischen Epoche, als an der merowingischen; die daraus zu entnehmenden Informationen sind daher für mich besonders wertvoll! Um ein simples Beispiel zu nennen: Pfeilköcher wurden sowohl auf dem Teppich von Bayeux wie auch im Utrechter Psalter als Zylinder dargestellt: Daher dürften sie auch bei den Ottonen, deren Herrschaft ja zeitlich genau zwischen diese beiden Quellen fällt, eine solche Form besessen haben.

Neben dem für Mittel und Nordwesteuropa typischen Selfbow (schwer zu sagen, warum man nicht den deutschen Begriff Vollholzbogen verwendet) wird auch der Komposit- bzw. Reflexbogen besprochen, den bereits die Römer von östlichen Völkern übernahmen. Wirklich durchgesetzt hat sich diese sehr aufwendige Bauform hierzulande zwar nie, doch scheinen das ganze Frühmittelalter hindurch etliche (importierte?) Exemplare in die Hände von oft höhergestellten Personen der germanischen Königreiche gelangt zu sein.
Neben den Bögen selbst werden natürlich auch Pfeile und die oben bereits angesprochenen Köcher eingehend beleuchtet. Den Abschluss des Buchs bildet ein kurzer Blick auf die technische Weiterentwicklung des Bogens: Gemeint ist damit die seit der Antike bekannte und wohl auch im gesamten Frühmittelalter (sporadisch) verwendete Armbrust. 

Fazit: Auf rund 120 Seiten wird hier eine gut strukturierte und unkomplizierte Interpretation einiger der wichtigsten (früh-)mittelalterlichen Quellen zum Thema Pfeil und Bogen geboten. Das vorliegende Buch eignet sich allerdings nicht ohne weiteres als Leitfaden für den Bau eines Bogens. Das habe ich mir allerdings auch nicht erwartet.

Ich vergebe 5 von 5 möglichen Punkten  |  


Inhaltsverzeichnis:

I.  Einführung ins Thema
Historischer Hintergrund
Die Quellensituation
Forschungsstand

II.  Langbögen der Merowingerzeit
Die Eibenbögen aus dem schwäbischen Oberflacht
Der alamannische Bogen von Altdorf
Weitere frühmittelalterliche Bogenfunde

III.  Kompositbögen der Merowingerzeit
Werkstoffverbünde im traditionellen Bogenbau
Die Reiterbögen der Awaren
Bogenbehälter für Einsatz und Transport

IV.  Bogensehne und Schießzubehör
Bogenschnüre aus pflanzlichen und tierischen Fasern
Unterarm und Fingerschutz
Bespanntechniken und -hilfen

V.  Frühmittelalterliche Pfeilschäfte
Überblick der archäologischen Situation
Grundlegende schusstechnische Vorgaben
Das Anfertigen von Holzschäften

VI.  Die Pfeilspitze
Typologie merowingerzeitlicher Pfeilspitzen
Materialaufbau und Herstellungsverfahren
Methoden der Projektilschäftung
Pfeileffizienz und Verwendungszweck

VII.  Merowingerzeitliche Pfeilköcher
Beigabenbrauch und Köcherrekonstruktion
Zylindrische Pfeilbehälter
Flachovale Reiterköcher

VIII.  Soziologie der Bogenschützen
Arme und Reiche - Krieger und Jäger
Bogenbauer und Pfeilmacher
Pfeil und Bogen im Rechtsleben

IX.  Der Bogen als Jagd und Kriegsgerät
Praxis der Jagdausübung im frühen Mittelalter
Pfeil und Bogen in kriegerischen Konflikten

X.  Gesellschaftlicher Wandel und technische Innovation
Die Bogenwaffe zur Karolingerzeit und im Hohen Mittelalter
Die frühmittelalterliche Armbrust

XI. Ausblick

Fußnoten
Glossar
Bildnachweis
Literaturübersicht
Anhang I
Anhang II
Register


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4 Kommentare:

  1. Den indirekten Vorschlag, Selfbow durch ein verständliches deutsches Wort zu ersetzen, finge ich gut.
    Der Begriff "Vollholzbogen" schließt allerdings nicht aus, dass mehrere Holzlaminate zu einem Bogen zusammengefügt wurden. Da ein absolut unmissverständlicher Begriff z.B. auch für das Regelwerk von Bogensportverbänden und für Turnierausschreibungen ein großer Vorteil wäre, bin ich als Bogenschütze natürlich daran interessiert, zur Klarheit beizutragen. Leider will mir kein passenderer Begriff einfallen. Die deutsche Version von Selfbow lautet Selbstbogen und bezeichnet einen Bogen, der nur aus einem einzigen Stück Holz besteht - also aus "sich selbst" und keinen anderen Komponenten. Generell werden bei einem Selbstbogen verstärkende Aufleimungen aus Holz, Horn, Knochen oder Kunststoff wie Micarta geduldet, falls sie keine Auswirkungen auf die Leistungsbilanz des Bogens haben.

    Mit besten Grüßen, Rudolf

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  2. Hallo Rudolf,
    in der traditionellen Bogen-Szene werden solche Bögen als Primitivbögen bezeichnet. Wieso sich genau dieser, meiner Meinung nach eher abwertende Begriff eingebürgert hat, ist mir nicht bekannt.

    Schönen Gruß, David

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  3. Nur schade, daß bei einem Rezensor wie unserem Hiltibolt mit an Perfektion grenzender Genauigkeit ausgerechnet bei einem Wortspiel ein netter Schnitzer unterlaufen ist: Das Zentrum einer Bogenzielscheibe ist gelb, nicht schwarz, wer da "ins Schwarze" trifft, liegt leider daneben... Gregor Fischer

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    1. Wusste ich leider nicht, weder vor sechs Jahren (als die Rezension veröffentlicht wurde), noch bis eben. Man lernt aber nie aus.

      Wahrscheinlich bezieht sich das Sprichwort, das ja nicht ich erfunden habe, auf Feuerwaffen. Dort ist das Zentrum des Kreises oft Schwarz.

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